Was ist Legasthenie?

Legasthenie – Lese-Rechtschreibstörung – Lese-Rechtschreibschwäche – Lese-Rechtschreibschwierigkeiten – Dyslexie – LRS  - Verschiedene Begriffe für ein Phänomen

Die verschiedenen Begriffe Legasthenie, Dyslexie, Lese-Rechtschreibstörung, Lese-Rechtschreibschwäche oder auch Lese-Rechtschreibschwierigkeiten und die Abkürzung LRS werden in der Literatur und in der Praxis zumeist synonym verwendet. Das heißt also, verschiedene Ausdrücke beschreiben ein und dieselbe Problematik, nämlich eine aus dem Rahmen der übrigen Leistungen fallende Schwäche im Erlernen des Lesens und/oder Schreibens.

Eine umschriebene Störung des Schriftspracherwerbs

Als Legasthenie bezeichnet man eine umschriebene Störung des Schriftspracherwerbs. D. h. betroffene Kinder oder Erwachsene sind nicht dumm, im Gegenteil, auch ein hochintelligentes Kind kann unter Legasthenie leiden. Trotz regulären Unterrichts und zusätzlicher Förderung ist das Erlernen der Schriftsprache so beeinträchtigt, dass einfache Wörter nicht oder nur sehr langsam gelesen werden können. Zugleich kann die korrekte Rechtschreibung Probleme bereiten.

Muss das Lesen und das Rechtschreiben gleichzeitig betroffen sein?

Nein, es gibt Kinder die nur mit dem Lesen große Schwierigkeiten haben, aber tadellos rechtschreiben können. Ebenso gibt es Kinder, die gute Leser sind, denen aber das Rechtschreiben schwerfällt. Und leider gibt es auch solche, die mit beidem große Schwierigkeiten haben. Nicht selten ist zusätzlich auch noch das Rechnen beeinträchtigt.

Ist Legasthenie eine Modeerscheinung?

Nein, bereits Ende um Ende des 19. Jahrhunderts haben sich vorwiegend Ärzte und Neurologen mit dem Phänomen der Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Schreibens beschäftigt. 1877 prägte der Arzt Kussmaul erstmals den Begriff Wortblindheit. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich Psychologen und Neurologen sehr ausführlich mit der Erforschung der Lese-Rechtschreibstörung. Die Forschung weiß mittlerweile sehr gut darüber Bescheid, wie betroffenen Kindern geholfen werden kann.

Ein von der Weltgesundheitsorganisation WHO anerkanntes Störungsbild

Die ICD ist ein wichtiges und international gültiges Diagnoseklassifikationssystem, nach dem auch in Österreich alle Erkrankungen und psychischen Störungen klassifiziert werden. Es wird von der Weltgesundheitsorganisation WHO herausgegeben. Aktuell (August 2019) ist noch die ICD-10 gültig, die Neuauflage ICD-11 ist gerade in Arbeit. Die Lese-Rechtschreibstörung ist unter dem Code F81 der umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten aufgeführt.

Gibt es viele Legastheniker?

Die Diagnose einer Legasthenie ist leider nicht so eindeutig wie bei einer Schwangerschaft. Schwanger ist man, oder man ist es nicht. Ein bisschen schwanger gibt es nicht. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Schweregraden der Lese-Rechtschreibstörung sind fließend. In der Literatur werden oft sehr unterschiedliche Kriterien zur Beurteilung des Schweregrades herangezogen. Aus diesem Grund gibt es auch sehr unterschiedliche Angaben zur Auftretenshäufigkeit. Grob kann man jedoch sagen, dass in einer Schulklasse ein bis zwei betroffene Kinder sitzen.

Was sind die Ursachen?

Für die Entwicklung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten können verschiedene Ursachen verantwortlich sein. Großangelegte Untersuchungen an Zwillingen in den 70er-Jahren konnten belegen, dass Lese-Rechtschreibschwierigkeiten in manchen Familien gehäuft auftreten. Es gibt folglich einen wissenschaftlichen Beleg, dass LRS erblich bedingt ist. In verschiedenen Untersuchungen wurden bei Menschen mit Legasthenie anatomische Auffälligkeiten in bestimmten Gehirnregionen festgestellt. Vermutlich bilden sich diese anatomischen Besonderheiten, die wahrscheinlich genetisch bedingt sind, bereits vor der Geburt.

Es ist anzunehmen, dass auch individuelle Faktoren wie die Unterstützung in der Familie und die Art des Unterrichts eine wesentliche Rolle spielen. Eine besondere familiäre Unterstützung oder ein langsames Vorgehen im Unterricht können mangelnde Voraussetzungen jedoch kompensieren.

Woran erkennt man Legasthenie?

Oft zeigen sich erste Anzeichen schon im Vorschulalter. Während die meisten Kinder sich schon vor Schuleintritt sehr für die Schriftsprache interessieren, indem sie das Vorlesen imitieren oder ihre ersten Buchstaben zu schreiben versuchen, verweigern Legastheniker bereits in dieser Lebensphase häufig jeden Kontakt mit der Schriftsprache.

In den ersten Schulmonaten entwickelt sich das Lesen und Schreiben bei allen Kindern noch sehr unterschiedlich. Ein Teil der Kinder, die am Anfang noch Schwierigkeiten beim Erlernen der Schriftsprache zeigen, überwinden diese bis zum Ende des ersten Schuljahrs. Jene Kinder, die in der zweiten Grundschulklasse noch immer größere Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben aufweisen, gelingt es bis zum Ende der Schulzeit ohne professionelle Hilfe kaum, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Spätestens zu Weihnachten der zweiten Klasse sollte also in schwerwiegenden Fällen eine qualifizierte Förderung in Anspruch genommen werden.

Symptome bzw. Anzeichen beim Lesen

Lesefehler

In der deutschen Sprache ist die Anzahl der Lesefehler alleine nicht ausschlaggebend für Besorgnis. Meistens rühren sie daher, dass betroffene Kinder versuchen schneller zu lesen als sie eigentlich können.

Lesegeschwindigkeit und Lesesinnverständnis

Sehr häufig lesen betroffene Kinder s e h r   l a n g s a m. Dadurch haben sie auch Schwierigkeiten, Texte zu verstehen. Manche Kinder lesen in einer angemessenen Geschwindigkeit, können den Inhalt von Texten trotzdem nur schwer wiedergeben.

Symptome bzw. Anzeichen beim Schreiben

Den typischen Legastheniker-Fehler gibt es nicht!

Legasthenie ist sehr vielschichtig, deshalb sind die Schwierigkeiten, die Kinder zeigen sehr unterschiedlich. Sehr oft habe ich schon gehört, dass ein Kind kein Legastheniker sein kann, weil es die Buchstaben b und d nicht vertauscht. Dieses Phänomen kommt vor, auch bei nicht betroffenen Kindern, ist aber kein Muss für das Vorliegen einer Legasthenie.

Typisch allerding ist, dass sie sehr viele Rechtschreibfehler machen, oft auch beim Abschreiben. Diese Fehler sind meistens auch sehr inkonsistent. Das soll heißen, dass ein einfaches Wort wie für fünfmal hintereinander richtig geschrieben werden kann und dann treten wieder skurrile Schreibungen wie vür oder führ auf. An guten Tagen kann ein Legastheniker einen Text mit wenigen Fehlern verfassen, am nächsten Tag wimmelt es im Text nur so von Fehlern. Betroffene Kinder bleiben typischerweise von Anfang an beim Erlernen des Rechtschreibens zurück.

Ist Legasthenie heilbar?

Leider nein, Legasthenie ist nicht heilbar. Sehr oft hört man Sätze wie Das wird schon oder Das wächst sich schon aus. Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass sich die Probleme im Lesen und Rechtschreiben von selbst geben. Im Gegenteil, sehr oft werden die Probleme größer. Zu den Misserfolgen im Lesen und Schreiben gesellen sich Selbstzweifel, zunehmender Frust und Schulunlust.

Lieber zu früh als zu spät mit der Förderung beginnen!

Mit einer fachkundigen Förderung können die Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten gut in den Griff bekommen werden. Je eher mit einer Förderung begonnen wird, umso besser kann einer negativen Entwicklung entgegengesteuert werden. Es ist besser zu früh mit der Förderung zu beginnen als zu lange zuzuwarten.

Außerschulische Förderung und Therapie

Leider sind die Fördermöglichkeiten in den Schulen aus schulpolitischen Gründen meistens nicht ausreichend, um betroffenen Kindern qualifiziert helfen zu können. In diesen Fällen sollte Lehrerinnen und Lehrer Eltern frühzeitig auf Probleme im Schriftspracherwerb hinweisen und eine außerschulische Therapie empfehlen.

Wie findet man einen seriösen Legasthenietherapeuten?

Obwohl Legasthenie eine von der WHO anerkannte Entwicklungsstörungen ist, sind die Berufsbezeichnungen Legasthenie -Trainer bzw. Legasthenie-Therapeut in Österreich keine geschützten Berufsbezeichnungen. D. h. der Gesetzgeber macht keine Vorgaben bezüglich Aus-, Fort- und Weiterbildung. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, sich bei der Suche nach dem geeigneten Therapeuten an bestimmten Qualitätskriterien zu orientieren.

Mehr dazu

Literatur

Klicpera, C., Schabmann, A., Gasteiger-Klicpera, B., & Schmidt, B. (2013). Legasthenie-LRS. München: UTB & Co KG.

Schleider, K. (2009). Lese-und Rechtschreibstörungen. München: UTB & Co KG.

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